Helmut Spiess

Hall in Tirol
Welche sind Ihre 3 liebsten Volkslieder?
1- Da drent am Wald, da steht a Kreuz
2- Fahr ma hoam
3- "s Frauenkäferl
Was ist für Sie ein Volkslied?
Ein Volkslied ist für mich ein Lied, das sehr wohl aufgeschrieben, aber nicht allgemein vervielfältigt ist. Es folgt einer "normalen", natürlichen Überlieferung.
Können Sie uns von einem besonderen Erlebnis im Zusammenhang mit Volksliedern berichten?
Die Entdeckung einer Liebe
Vor circa 50 Jahren lebte ich mit meinen Eltern in Südtirol. Dort in Lana begegnete ich öfters einem Burschen, der mit einem riesigen Koffer am Rücken bergwärts ging. Als ich ihn einmal ansprach, was er da wohl schleppe, erzählte er mir, das sei ein Tonband-Aufnahmegerät mit Mikrofon. Er besuche hochgelegene Bauernhöfe und Gasthäuser in Nonsberg, Mölten und bis ins innerste Passeiertal, um Volksmusik und "schiane Liandl"n" aufzunehmen. Das juckte mich nun auch höllisch, doch mir fehlte das Geld.
Ende der 1950-er Jahre übersiedelte ich nach Innsbruck. So um 1961 hörte ich alle Monat einmal die Radiosendung "Wer jagt gewinnt" (s. unten). In Erinnerung an den Südtiroler Burschen entschloss ich mich nun, ein tragbares Batterie-Tonbandgerät (noch mit den 8cm-Spulen) zu kaufen. Meine Mutter fiel aus allen Wolken: ein so teures Gerät! Wir fuhren zu dieser Zeit einmal im Jahr nach Unterkärnten, zu ihren Verwandten. Kaum angekommen, setzten sich meine Tante, Mutter und Cousine zusammen und sangen ihre Lieder aus der Jugendzeit. Ich, mit meinem "Tonbandl", nahm fleißig auf. Sie staunten nicht schlecht, dass es so gut klang und ich durfte weiter aufnehmen. Damit war mein Tonbandgerät akzeptiert. So bleiben diese Aufnahmen in guter Erinnerung Mutter und Tante sind leider schon lange verstorben.
So bin ich bis heute begierig, Lieder und Instrumentalmusik aufzunehmen. Eine umfangreiche Sammlung ist mein Eigentum und ich hoffe, noch Einiges zu meiner Sammlung ergänzen zu können.
Der mysteriöse Tonjäger
Vor etwa 45 Jahren gab es bei Radio Tirol eine monatliche Sendung mit dem Titel "Wer jagt gewinnt!", eine Tonjägersendung. Aus allen Teilen Tirols, ja sogar aus dem Vorarlberger Raum, sandten "Hobby-Tonjäger" ihre Beiträge ein.
Da hielt ich es nicht mehr aus und legte mir ein tragbares Batterie-Tonbandgerät zu. Mein erster Einsatz war Heiligwasser oberhalb von Igls. Schon durch den Wald hinauf mussten verschiedene Vogelstimmen und das Igler Glockengeläut meiner ersten Feldforschung standhalten.
Oben angekommen wollte es der Zufall, dass zwei Bergler aufkreuzten, die flotte Berglieder zum Besten gaben. Vorerst ganz versteckt nahm ich einige Stückln auf. Bei einer Pause standen die beiden auf und begrüßten einige Ankömmlinge. Schnell geschalten ließ ich die Aufnahmen retour laufen und schon sangen die Mander, obwohl keiner da war und die Gitarre auf dem Tisch lag. Die herumsitzenden Gäste samt Wirt waren ratlos. Nach einiger Zeit lüftete ich das Geheimnis und alle stimmten mit den Sängern ein lautes "Bravo" an.
Mühlbacher Kirchtag Tanz
Bei einem Besuch in Uttenheim-Gais luden mich meine Bekannten vom Pircherhof zu einem Kirchweih-Festl im kleinen Bergdörfl Mühlbach am Einsberg im Tauferertal. Gleichzeitig wurde das neue Feuerwehrhaus eingeweiht. In leiser Vorahnung nahm ich mein kleines Tonbandgerät mit. Es sollte ja auch ein musikalischer Abend werden. Doch vorerst war keine Spur von Musikanten. Zur Überraschung spielte eine Ein-Mann-Kapelle. Ein Bäuerl aus Mühlbach spielte mit seiner diatonischen Harmonika ganz bodenständige Stücke aus dieser Gegend. Nach einiger Zeit sagte ich ihm, er solle doch auch einmal tanzen. "Wia dos, i muaß ja spielen!", meinte er. "Geh nur tanzen, das mach ich schon", riet ich ihm. Nun spielte ich mein Tonband retour und gab in voller Lautstärke seine Polkas, Walzer und Ländler wieder. Er tanzte flott und spielte dann wieder brav weiter. "Na so was hab ich noch nie erlebt, dass ich zu meinem eigenen Harmonikagspiel auftanzt hab!", und dabei schüttelte er immer wieder seinen Kopf und blinzelte mir verstohlen zu.
Für mich sind echte, alte Volkslieder und instrumentale Volksmusik sehr wichtig, um unsere heimatliche Identität zu erhalten. Heute kann man diese Dokumente durch Tonaufnahmen und eventuell durch Filmen viel besser sammeln als in früheren Zeiten. Damals konnte nur ein guter Musiker, der mit Notenschreiben bewandt war, Aufzeichnungen dokumentieren. Von Tal zu Tal, ja von Ort zu Ort weichen manche Lieder schon durch die dialektische Aussprache voneinander ab, was schon dem aufmerksamen Zuhörer auffallen kann und soll. Durch Fremdenverkehr und auch die Schulen verliert der Dialekt immer mehr die Verbundenheit zur eigenen Heimat. Ein Lob unseren Schweizern: Sie sprechen auch in der (Volks-)Schule "schwyzerdütsch" und können trotzdem Hochdeutsch schreiben und sprechen. Bis jetzt waren auch Italien und Frankreich noch "konservativ", wie man es über das Radio noch erfahren kann. Bei uns in Österreich und Deutschland "plärrt" den ganzen Tag fast nur englische Musik und auch Werbung.
Bleiben wir unseren "Altvorderen" etwas treuer und pflegen wir unsere Heimatverbundenheit wieder mehr durch Volkslied und -musik.