Helga Rogenhofer

Fieberbrunn
Welche sind Ihre 3 liebsten Volkslieder?
1- Sitzt a kloans Vögal im Tannenwald
2- Innsbruck is a schiane Stadt
3- Es saß ein klein wild Vögelein
Was ist für Sie ein Volkslied?
Für mich ist es ein Lied, das vom Volk, den Leuten, angenommen wurde und bis heute gesungen wird gleich, aus welcher Quelle es stammt.
Es soll vor allem das Gemüt ansprechen.
Themen sind: Natur, Liebe, geschichtliche Ereignisse, Scherz- und Spottlust, Sensationslust und Rechtempfinden.
Das Volkslied muss ins Ohr gehen.
In unserer schnelllebigen Zeit kommt der Pflege des Liedes in Schule und Vereinen besondere Bedeutung zu.
Dass sich Leute und deren soziales Umfeld laufend ändern, wird sich auch auf das Volkslied auswirken.
Vielleicht entwickelt sich auch Modernes (schlagerartige Lieder) in Richtung Volkslied weiter.
Es ist zu hoffen, dass das "klassische" Volkslied nicht zur Musikgattung wird.
Können Sie uns von einem besonderen Erlebnis im Zusammenhang mit Volksliedern berichten?
Für Weihnachten 1933 ich war acht Jahre alt und ging in die zweite Klasse Volksschule hatte unsere Lehrerin ein besonders schönes (und aufwändiges) Weihnachtslied mit uns eingeübt: In dulci jubilo. Schließlich war es dann so weit: Die Kerzen brannten, ich stand selig und aufgeregt mit der neuen Puppe im Arm da und begann zu singen. Mutter leicht gerührt, die großen Brüder betont wohlwollend dreinschauend: "In dulci jubilo nun singet und seid froh! Unsers Herzens Wonne liegt in praesepio und leuchtet als die Sonne, matris in gremio, Alpha es et O, alpha est et O." Meine große Schwester lächelte etwas spöttisch und beim lateinischen Text kicherte sie sogar; mir kam es vor, als lachte sie mich aus. Ich sang mit aller Kraft weiter, wurde immer aufgeregter und spielte dabei nervös mit dem Knopf des Puppenschuhs zu fest, denn er brach ab. Gleichzeitig brach auch mein Gesang ab und ich sagte ganz laut: "Jetzt ist er ab!" Alle lachten, ich schämte mich entsetzlich und war den Tränen nahe. Da nahm mich die Mutter in den Arm, gab mir ein Bussi und sagte: "Das war mein schönstes Weihnachtsgeschenk!" Da war alles wieder gut.
November 1943
Wir halten einen schwarzumrandeten Brief in den Händen: Mein 24-jähriger Bruder ist am 1.November an der Murmanskfront in Finnland gefallen.
Auf der Straße marschieren singende Soldaten vorbei. Immer wieder höre ich den Refrain Hoppsassa, tirallala, die ganze Kompagnie, aha, hopsassa, tirallala, die ganze Kompagnie
Diese Melodie höre ich bis heute noch.
Österreich-Anschluß an Deutschland im März 1938
In den ersten Wochen nach dem Einmarsch der NS-Truppen: Ich bin in der dritten Klasse der Frauenoberschule der Ursulinen in Innsbruck. Alle Schüler sind im Festsaal versammelt. Die Oberin, Mate Lioba, lässt durch eine sorgfältig ausgesuchte Schülerin das Schuschnigg-Bild von der Wand abnehmen. Sie legt es in eine mit Seidenpapier ausgeschlagene Schachtel und sagt: "Wir wollen in Ehrfurcht Abschied nehmen" (o.ä.) Dann singen wir alle: "Wenn alle untreu werden, so bleiben wir doch treu". Später war ich sehr erstaunt, als wir unter den neuen Machthabern das gleiche Lied sangen
In den 1930-er Jahren
Als Kind hatte ich am Spielplatz ein Lied aufgeschnappt, das meine Mutter nicht gern hörte: "Fuchs, du hast die Gans gestohlen, gib sie wieder her, sonst wird dich der Steidle holen mit der Heimatwehr, mit der Heimatwehr."
Das war in den 1930er-Jahren und Steidle war Initiator der Tiroler Heimatwehr.
Meine Mutter sang oft ein Kirchenlied, das mir so gut gefiel:
"Wo findet die Seele die Heimat, die Ruh?
Wer deckt sie mit schützenden Fittichen zu?
Im Schoße des Mittlers, wir rufen dir zu "
Ein "Mittler" sagte mir nichts, aber Miklas, den Namen des österreichischen Bundespräsidenten seit 1928, hatte ich schon öfter gehört. So sang ich also: " im Schoße des Miklas wir rufen dir zu ". Ob er es mir verziehen hätte?
Mein großer Bruder (Jahrgang 1910) kam in den Hungerjahren gegen Ende oder nach dem Ersten Weltkrieg aus dem Schulgottesdienst heim und sagte zu seiner Mutter: "Mutter, die Maria hat auch keine Marken[1] mehr!" "Ja warum denn?" "Sie haben gesungen: Oh Maria ohne Marken[2]"".
1
gemeint sind die Lebensmittelmarken, die es nur in kleinen Rationen gab
2
anstatt "O Maria ohne Makel"